Die Rolle von Glück in deinem (Finanz-)Leben

Spielt Glück eine viel größere Rolle in unserem (Finanz-)Leben als wir es wahr haben wollen?

Je nachdem wie viel du bereits über Glück nachgedacht hast und wie du generell über das Thema denkst, wirst du vielleicht viel zu wenig, oder viel zu viel dem Faktor Glück (oder Pech) zuschreiben. Wenn wir über Glück philosophieren, dann können wir bis zu unserer Geburt zurückgehen. Vor ein paar Jahren habe ich gelesen (keine Ahnung, ob die Zahlen noch ganz aktuell sind), dass ca. die Hälfte der reichsten Menschen aus den USA kommen. 

Bedeutet dies, dass die Amerikaner härter arbeiten? Vielleicht, doch höchstwahrscheinlich sind die Möglichkeiten in Amerika anders. Wenn du im Sudan geboren bist, sind deine Chancen zu den reichsten 1 % der Welt zu gehören vermutlich geringer als für jemanden der in den USA zur Welt kommt. Natürlich spielt auch unser Elternhaus eine Rolle. Generell ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass, wenn du das hier liest, du zu denen gehörst die in der Geburtslotterie zu den Gewinnern zählen. 

Rolf Dobelli schreibt in The Art of the Good Life:

Even if you’ve had your fair share of tussles with fate, you’ve got to admit that you’re enormously lucky. Six percent of all the people who have ever lived on Earth are alive at this moment. To put it another way, six percent of all the people who have been born over the last 300,000 years—since Homo sapiens populated the world—are alive in the present day. They could just as easily have been born into another era; indeed, the probability of that is 94 percent. Imagine yourself as a slave in the Roman Empire, a geisha during the Ming Dynasty, a water-carrier in ancient Egypt. How many of your inborn talents would have been worth much in those environments?

Unseren Geburtsort oder das Jahrhundert in dem wir geboren wurden, können wir nur schwer beeinflussen 

Doch gilt dies auch für unsere Arbeit? Für unsere finanzielle Situation? Nassim Taleb hat einmal gesagt:

Hard work will get you a professorship or a BMW. You need both work and luck for a Booker, a Nobel, or a private jet.

Der Booker ist übrigens der wichtigste britische Literaturpreis (ich musste selbst kurz googeln, da ich mir nicht sicher war 😉 ). Taleb will mit dieser Aussage zeigen, dass gewisse Errungenschaften mit harter Arbeit möglich sind, doch außergewöhnliche und herausragende Erfolge nur durch Arbeit und Glück möglich sind. Daniel Kahneman, ein Nobelpreisträger, gab folgende Antwort auf die Frage “Was ist deine Lieblingsgleichung?”:

success = talent + luck

great success = a little more talent + a lot of luck

Mir fehlt in dieser Gleichung die Arbeit. Das liegt vor allem daran, dass ich an harte Arbeit und ihre Früchte glaube. The harder I work, the luckier I get ist ein Zitat, das in unterschiedlichen Ausführungen den verschiedensten Persönlichkeiten zugeschrieben wird. Es ist nicht zu 100 % richtig, doch der Kern der Aussage ist für mich zutreffend. Harte Arbeit erhöht die Wahrscheinlichkeit überhaupt Glück haben zu können oder vor allem glückliche Umstände dann auch tatsächlich ausnutzen zu können. Ballard wäre niemals in der Position gewesen die Titanic tatsächlich zu finden, wenn er nicht jahrelang Vorarbeit geleistet hätte.

Die Gründer von Google wollten das Unternehmen, ca. ein Jahr nach der Gründung, für weniger als eine Million Dollar verkaufen. Damals dachten sie vielleicht, dass es Pech ist, dass die Käufer den Preis für zu hoch hielten. Heute wissen wir, dass es Glück war. In so ziemlich jeder Firmenhistorie und auch im persönlichen Leben hätten Wege anders verlaufen können – sowohl durch Glück als auch durch Pech. Timing und unkontrollierbare Umstände spielen eine größere Rolle als uns vermutlich bewusst ist. Es gibt brillante Menschen die hart arbeiten, aber niemals überdimensional erfolgreich sein werden. Und es gibt Menschen die nur halb so hart arbeiten und durch glückliche Begebenheiten sehr erfolgreich sind.

Doch ist die Frage, ob der persönliche Erfolg mehr vom Glück oder von harter Arbeit abhängt, die richtige?

Was bringt es uns, wenn wir darüber sinnieren, ob wir Pech oder Glück hatten? Sich über Pech zu ärgern, macht uns nicht fröhlicher. Sich bewusst zu machen, dass vieles in unserem Leben durch eine glückliche Fügung entstanden ist, kann uns allerdings dabei helfen dankbarer zu sein. Deshalb macht es bis zu einem gewissen Grad Sinn darüber nachzudenken. Marshall Goldsmith hat in seinem Buch What got you here won’t get you there geschrieben:

One of the greatest mistakes of successful people is the assumption, “I am successful. I behave this way. Therefore, I must be successful because I behave this way!” The challenge is to make them see that sometimes they are successful in spite of this behavior.

Marshall bezieht sich hier nicht explizit auf das Thema Glück. Doch ich zitiere ihn hier, da man, wenn man über diese Passage genauer nachdenkt, zum Schluss kommen kann, dass eben nicht alles aufgrund seines Verhaltens “gut” (oder “schlecht”) verlaufen ist.

Aber nochmals: Ist die Frage, ob Glück oder harte Arbeit notwendig ist, um erfolgreich zu sein, überhaupt die richtige Frage?

Vielleicht wäre die noch bessere Frage: Was kann ich beeinflussen und was kann ich nicht beeinflussen? Wenn du unseren Artikel 7 Leitsätze für ein sorgenfreies Leben & exzellente Finanzen  gelesen hast oder Wie kann eine tausende Jahre alte Philosophie deine Finanzen verbessern?  dann kennst du das folgende Zitat bereits:

It’s not what happens to you, but how you react to it that matters. – Epictetus

Was bedeutet das jetzt, wenn es um deine Finanzen, Geldanlagen & Co geht?

Betrachten wir im ersten Schritt das Thema Versicherung bzw. Absicherung:

In Österreich leben wir in einem Staat und einer Gesellschaft, in der es uns generell möglich ist, sich sinnvoll zu versichern. Ich rede hier nicht von der staatlichen Sozialversicherung, sondern davon, dass jede Person die sich gegen existenzbedrohende Risiken vernünftig absichern will, dies tun kann. Wir haben in unserem Artikel Warum du keine Kleinigkeiten versichern solltest und wie du über Risiken nachdenken solltest darüber geschrieben, welche Risiken man absichern sollte und auf welche du verzichten kannst. 

Gerade bei Versicherungen sollte dir folgendes bewusst sein: Glück oder Pech können bei Unfällen, Krankheiten & Co natürlich eine entscheidende Rolle spielen. Doch wie es dir finanziell nach einem Schicksalsschlag geht, hat nichts mit Glück oder Pech zu tun, denn das kannst du zu 100 % beeinflussen. Egal ob Berufsunfähigkeitsversicherung, Unfallversicherung  oder Privathaftpflichtversicherung  – niemand zwingt dich dazu diese Versicherungen zu ignorieren und nicht abzuschließen. Die Frage nach Glück oder Pech ist aus rein finanzieller Sicht definitiv nicht die richtige. Denn für Pech können wir uns, zumindest finanziell, vorbereiten.

Wie sieht’s aus, wenn es um die persönliche Geldanlage geht?

Hier spielt Glück doch bestimmt eine größere Rolle? Jein. 

Wir haben in unserem Beitrag Dieser Artikel verändert wahrscheinlich deine Einstellung zu langfristigem Investment  die verschiedensten Anlagehorizonte am weltweiten Aktienmarkt historisch beleuchtet. Betrachtet man die letzten 50 Jahre, dann war jeder 30-jährige Anlagehorizont, bei dem du monatlich ansparst, positiv. Das schlechteste Ergebnis lag bei 5,3 % pro Jahr. Die jeweiligen Jahrzehnte können wir uns natürlich nicht aussuchen und wir werden erst im Nachhinein wissen, ob die eine oder andere Zeitperiode besser oder schlechter war. Das ist tatsächlich bis zu einem gewissen Grad Glück oder Pech. Doch je länger du anlegst, desto weniger wirst du dich auf Glück verlassen müssen.

Wenn man das Jahrzehnt von 2010 bis 2020 betrachtet, dann konnte man fast nichts falsch machen. Hier war praktisch jede Anlage, außer vielleicht das reine Sparbuch  oder der Bausparer, erfolgreich. So einfach ist es selten, doch generell beginnt bei einem Anlagehorizont von 10 Jahren oder mehr die Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses sich den 100 % zu nähern (wenn man “vernünftige” Investments wählt). Auch das kannst du im vorhin verlinkten Artikel nachlesen. Eine Garantie hast du natürlich nicht. Und bei der Geldanlage musst du auch bereit sein den Preis der Volatilität zu zahlen (mehr dazu in Wann ist der richtige Zeitpunkt mit dem Geld anlegen zu starten? ). Doch nur auf Glück oder Pech kommt es eben nicht an. 

Was ist bei Finanzierungen und Krediten?

Hier kann man durchaus von Glück sprechen, wenn die persönliche Lebensplanung den Hausbau- oder Wohnungskauf z.B. Mitte 2021 vorgesehen hat. Denn dann konnte man sich die günstigsten Kreditzinsen aller Zeiten sichern. Natürlich nur, wenn man einen Fixzinskredit (bzw. einen Teil als Fixzins) gewählt hat. Das war wieder zu 100 % von einem selbst beeinflussbar. 1 % Kreditzins auf 15 oder 20 Jahre war nicht unüblich. Anfang 2023 war die Topkondition für 15, 20 oder 25 Jahre bereits bei 3,5 bis 4 %. Das Zinsniveau können wir nicht beeinflussen.

Die günstigen Zinsen sind ein glücklicher Zustand, den man nutzen konnte. Deutlich höhere Zinsen, als in der Niedrigzinsphase vor 2022, sind eigentlich der historische Normbereich, mit dem man leben muss. Beeinflussen können wir eben nur, wie wir mit diesem Umstand umgehen und uns vorbereiten. Wir sind auf das unter anderem in unserem Artikel Soll ich das Haus bzw. die Wohnung jetzt kaufen, da die Preise sowieso immer steigen?  eingegangen.

Ich bin ein Fan davon sich auf Pech vorzubereiten

Egal ob dies die richtige Versicherung, oder die pessimistischere Hochrechnung in der Geldanlage ist. Sich auf Glück zu verlassen, ist keine sinnvolle Strategie, sich auf Pech vorzubereiten sehr wohl. Doch sollten wir uns auch so verhalten, dass wir glückliche Umstände nutzen können (The harder I work, the luckier I get). Es ist ratsam glückliche Fügungen allerdings nicht zu 100 % seinem Können zuzuschreiben (und da sind wir Menschen meist sehr gut darin), sondern bescheiden zu bleiben. Das hilft, neben der bereits erwähnten Dankbarkeit, wenn man über Glück nachdenkt. Wir können unser Ego in Zaum halten, wenn wir ab und zu realisieren, dass Erfolg nicht zu 100 % auf unseren Einsatz zurückzuführen ist.

Genauso sollten wir in schlechten Zeiten aber auch nicht verzweifeln und alles dem Pech zuschieben. Wir können uns eben einerseits erinnern, dass wir auch Glück hatten und dafür dankbar sein. Dazu muss man sich vermutlich nicht ausschließlich die Geburtslotterie vor Augen halten, wenn man einmal intensiver darüber nachdenkt. Andererseits können wir “Pech” nicht beeinflussen, also bringt es nichts sich darüber zu ärgern.

Sven Böttcher schreibt in seinem Buch Quintessenzen:

Entscheidend ist: Fang nicht erst nach dem Schicksalsschlag an, dich an dein glückliches Leben zu erinnern. Das wäre bloß ein Rezept für alles vernichtende Bitterkeit, und die brauchst du – gerade danach – so dringend wie ein Loch im Kopf. Vergegenwärtige dir täglich: Tot, krank, kaputt, hungrig und unglücklich, das ist der Normalzustand. Alles andere ist → Glück oder nah dran. Genieße es. Und zehre dankbar von der Erinnerung daran und der Hoffnung auf neues, wenn es dich vorübergehend verlässt.

Wie viel Glück hatte jetzt Dr. Robert Ballard bei der Entdeckung des Wracks der Titanic? Ist sein Erfolg auf 20 % oder 80 % Glück zurückzuführen? 90 %? 5 %? Das ist unmöglich zu beantworten und vielleicht teilst du nach der Lektüre dieses Artikels auch meine Meinung, dass es zum Großteil irrelevant ist. Er nutzte glückliche Fügungen und arbeitete an dem, was er beeinflussen konnte. Das gleiche sollten wir alle machen und manchmal werden wir mehr oder weniger Glück haben. Durch harte Arbeit kannst du dich aber in die Position bringen, um unbeeinflussbare, glückliche Fügungen maximal zu nutzen.